Hallo allerseits,
nach Waldmacs Kommentar und den letzten Aktivitäten bei mir, will ich mich auch nochmal in die Diskussion einbringen.
Kurz: Ubuntu Touch (UT) und das Fairphone 2 (FP2) sind leider kein gutes Gespann, wie ich auch merken musste. Ich hatte seit September 2018 auf mein FP2 UT gespielt, ich kannte das System vom BQ Aquaris E4.5 (BQ E4.5) und konnte mit den "Hacks" und Querelen, die man wegen noch mangelnder oder nicht optimal laufender Apps (z.B. Dekko 2) so braucht, leben. Allerdings läuft UT auch auf meinem FP2 sehr instabil. Das kannte ich vorher vom BQ E4.5 mit UT nicht so extrem - obwohl es weniger RAM hatte. Erst Reboots, dann seit UT 16.04 häufige Unity 8 Abstürze - was auch nervig ist, wenn man gerade eine SMS oder Telegram Nachricht am tippen war und dann alles weg ist. Das Problem, soweit ich es mitbekommen habe, scheint eine Art "Speicherleck" oder so von UT beim FP2 zu sein. Das macht das System instabil. Es ist aber auch extrem schwer, hier eine Ursache zu finden. Die Hardware selbst vom FP2 ist "etwas" instabil, aber unter Android (open source mit 'Fairphone Open') längst nicht so "schlimm". Also vermute ich aufgrund deiner Beschreibung keine defekte CPU, sondern einfach das "normale" schlechte Verhalten von UT auf dem FP2.
Das ganze ist schade, hatte ich mir nach dem Tod meines BQ E4.5 und einem gebrauchten Nexus 5, das leider irgendwie entgegen aller Forenberichte gar nicht lief mit UT (WLAN Prozess hat sich kurz nach Boot immer aufgehängt und 100% CPU Last erzeugt, das Telefon war ein Hanwäermer bis die Batterie leer war.) und das nach einem halben Jahr mit LineageOS dann auch den Tod eines defekten Mainboards gestorben ist, extra das FP2 für UT zugelegt. UT stirbt langsam den schleichenden Hardwaretod. Es gibt nur noch das FP2 neu vom Hersteller zu kaufen (ab und an wird wohl noch das BQ Tablet angeboten im BQ Store, aber ich wollte ja ein Phone und kein Tablet). Aber das FP2 scheint nach meiner eigenen Erfahrung und nach den allgemeinen Berichten im Internet wohl ausgerechnet am instabilsten mit UT zu laufen. (Vielleicht sollte es sogar von der Liste der stable Devices gestrichen werden und nur noch als „experimental device“ angeboten werden?)
Jetzt habe ich seit drei Wochen Sailfish OS (SFOS) auf mein FP2 gespielt. Es wurde von der Community ein sehr gut funktionierendes Image von SFOS für das FP2 portiert. Schau mal hier und hier. Du hast ein FP2, das vermutlich beste Device, um alle möglichen OS mühelos testen zu können! 😉
Installation in Kurzform (vieeel einfacher als was Benno hier am Anfang an Gewürge mit dem Xperia X erzählt hat):
Datensicherung (sollte klar sein)
Fairphone Open in Version 18.04.01 (es muss diese sein! Das ist die letzte offizielle Fairphone Open Version, die Android 6 nutzt. Diese wird als Basis für SFOS benötigt.) von der Fairphone Seite laden hier und nach Anleitung flashen (mit Ubuntu Laptop und ADB Tools eine Sache von 5 min 😉 )
Danach klassisch - wie bei der Installation einer Custom Andorid ROM - nach Anleitung SFOS aus der heruntergeladenen ZIP Datei von der TWRP Recovery aus installieren.
Alles in allem war das seine Sache von weniger als einer halben Stunde, dann hatte ich UT los und SFOS installiert.
Meine Erfahrungen: Zum Betriebssystem selbst
SFOS als OS selbst läuft sehr viel stabiler und schneller auf dem FP2 als UT. Die Hardware läuft schnell (Kamera) und wird auch vollständig unterstützt (LED Lampe, FM Radio läuft sogar mit einer nachinstallierten App!). Die üblichen "FP2 Macken", die schon in Android auftreten, bleiben (Abstandssensor zu wenig empfindlich bei Telefonaten (muss man dran denken, manuell den Bildschirm abzuschalten), Runterfahren führt manchmal zu Neustart (da hilft es, die LED Lampe vorm Runterfahren zu aktivieren). Ich war tatsächlich positiv überrascht von der Stabilität und Performance von SFOS am FP2. Keine Nachteile von Android, wohingegen man mit UT generell mit der Performance (im Vgl. zu Android, vor allem bei "hardwarenahen" Sachen wie der Kamera) und vor allem auch Stabiltität am FP2 sehr große Abstriche machen musste.
Das Betriebssystem gefällt durch modernes Design und nach einiger Eingewöhnung praktischen Wischgesten. Allerdings muss ich auch nach bald drei Wochen sagen, dass ich die UT Gesten noch etwas "handlicher" fand und auch dieses Konzept mit verstecken Menüelementen durch runterziehen usw. manchmal etwas umständlich ist. Da fand ich UT "aufgeräumter". Auch ist die moderne GUI zwar schön anzuschauen, aber nicht unbedingt immer "funktional/übersichtlich". Aber insgesamt O.K.
AlienDalvik (Android App Support) und Tastaturvorschläge gibt es als proprietäre Bestandteile von SFOS wie schon angesprochen nur bei den von Jolla kommerziell betriebenen SFOS Versionen. Da für das FP2 nur eine von der Community erstellte Version vorhanden ist, fehlt das. Man ist also auf die nativ verfügbaren Apps für SFOS angewiesen.
Toll sind Details wie die schon erwähnte temporäre Sperrung der Rotation mit einem Finger. "Tägliches Brot" wie Kontakte von CardDAV ist kein Gehacke über Terminal mehr wie in UT (wo es zumindest bei mir CardDAV immer noch nicht richtig lief), sondern lässt sich so einfach einrichten wie E-Mailkonten und CalDAV.
Die Akkulaufzeit mit SFOS ist sehr gut für die Verhältnisse des FP2 (ca. 1.5 Tage bei meiner normalen Nutzung), das ist ähnlich wie mit Android. Unter UT war das deutlich weniger, wahrscheinlich weil es weniger "optimal programmiert" ist nach wie vor die CPU mehr "arbeiten" muss und daher auch der Performancenachteil von UT kommt.
Negativ fiel mir auf, dass ich nicht wie bei UT (und mittlerweile auch längst Android!) sehen kann, welche Apps Berechtigungen für welche Bestandteile am Phone (Kamera, Mikrofon, Kontakte, Standort ...) haben wollen und das auch nicht steuern kann. Auch hab ich bisher noch nicht gefunden, wie/ob ich Benachrichtigungen für die einzelnen Apps "fein steuern kann". Z.b. will ich normal alle Push/Tonmeldungen für Nachrichten (SMS, Telgram, ...) ausschalten, aber trotzdem soll das Telefon noch rappeln, wenn jemand anruft. Diese Unterscheidung hab ich bisher nicht gefunden, ich nutze bisher "bimmelt immer Modus" oder "stummer Modus". Die verschiedenen Modi sind ganz nett mit den anderen Farben usw. gemacht, eine gute Idee.
Es gibt leider weder ein Blaulichtfilter wie bei Android (oder Ubuntu Desktop zumindest nachrüstbar) noch einen "dark mode" wie mittlerweile bei UT. D.h. abends ist mir SFOS eher zu grell. Ich kann nur ein "rötliches Ambiente" oder die App "Tint Overlay" hier verwenden.
Emojis werden im Moment nur sehr rudimentär unterstützt. Die Emoji Tastatur enthält nur sehr wenige Emojis, passiv werden mehr Emojis dargestellt (allerdings nur in Schwarzweiß), viele leider auch gar nicht und man sieht dann nur ein Kästchen als Platzhalter. Das war in UT besser, aber Emojis sind sicher ein Luxusproblem (in meinen Augen).
Text auswählen geht mit einer Lupe sehr gut, allerdings ist das Kopieren und Einfügen irgendwie nicht sehr logisch bzw. ich habe es noch nicht ganz verstanden. 😀 Hier wären eindeutigere Buttons nützlich.
Zu den Apps:
Der Jolla Store selbst mit den von "Jolla abgesegneten Apps" ist gelinde gesagt enttäuschend. Es gibt deutlich weniger Auswahl als im OpenStore, sowohl in Quantität als auch Qualität (viele Apps wurden seit Jahren (!) nicht mehr aktualisiert).
Ich empfehle, die App Storeman zu installieren, dann bekommt man zusätzlich Zugriff auf inoffizielle App Repositories für SFOS und der App Umfang wächst auf das selbe gute (bzw. schlechte) Angebot heran wie bei UT. Allerdings sind auch hier viele Leichen vorhanden, z.B. die Signalapp lässt sich nicht mehr installieren, ist laut Github Seite mittlerweile auch ein verwaistes Projekt und ich habe im Moment kein Signal am Phone (ärgerlich, unter UT hatte ich wenigstens eine sehr brauchbare App, wo eben nur keine Pushmeldungen gingen (weil Openwhispersystems sich hier querstellt)).
Die Notwendigkeit mehrerer Stores ist zumindest umständlich und verwirrend und vielleicht auch ein Sicherheitsproblem, da es unter SFOS ja kein Berechtigungsmanagment/App-Beschränkungen gibt wie unter UT (oder Android) und die meisten Apps von Storeman kommen und somit von Jolla ungeprüft sind. Bisher habe ich relativ sorglos rumgespielt, aber ein mulmiges Gefühl bleibt doch. Viele Wechseln ja schließlich wegen Sicherheit/Privatsphäre von iOS/(Google-)Android mühevoll auf die Alternativen.
Für viele Anwendungsfälle gibt es x verschiedene Apps und teilweise Forks der selben App. Da ist es schwierig, "das beste" zu finden. Nachdem ich einige nicht funktionierende Telegram Apps ausprobiert hatte, hatte ich zwei funktionierende gefunden und nutze jetzt 'Depecher'. Insgesamt gute Telegram App, mindestens so gut, wie das neue TelegramPlus bei UT.
Einige Apps sind "alte Bekannte" aus UT, z.B. 'Fahrplan'. 'Machines vs Machines' habe ich auch gesehen, aber nicht getestet. Schön zu sehen, dass hier einige Apps den Sprung auf mehrere Mobil Linux OS geschafft haben. Das sollte es mehr geben! In einer idealen Welt sollte man jede für UT geschriebene App leicht für SFOS kompilieren können und umgekehrt. Davon würden alle Linux Smartphones profitieren. ☺
Einige Apps sind deutlich besser, als ihr UT Pendant. 'gpodder' ist eine sehr gelungene Umsetzung eines Desktopprogramms für das Smartphone. Funktioniert schnell und funktional und nicht so langsam (Aktualisierung der Podcast Feeds beim Start) und instabil (Unterbrechungen und Abbrüche in der Wiedergabe) wie Podbird.
Für einiges war es schwierig unter gefühlt hunderten nicht funktionierenden, uralten Apps, die Nadel im Heuhaufen zu finden, die immerhin (schlecht) funktioniert. Beispiel Youtube: am Ende habe ich einen Tipp aus der Ubuntu Touch Telegram Gruppe bekommen und die App 'LLs vPlayer' installiert. Funktioniert, aber ist eher unkomfortabler als die YT (Webapp) von UT oder gar Newpipe unter Android.
Internetradio läuft ebenfalls problemlos. Bei UT hatte ich zuletzt zunehmend Probleme, dass die Streams einfach abrissen. Leider sind alle Internetradio Apps unter UT mittlerweile unsupported und es gab ewig keine Updates mehr. Im Zusammenhang mit den vorherig erwähnten Problemen mit Podbird könnte man auch vermuten, dass die Audiowiedergabe seit UT 16.04 irgendwie Probleme hat. Aber generell kann ich das nicht bestätigen, weil die Musikapp unter UT eigentlich gut läuft.
FM Radio lässt sich über die App 'Pirate FM' von Storeman nachrüsten. Das hat mir sehr gefehlt unter UT! Einfaches und batteriesparendes Radio.
App Einstellungen sind teilweise in der App und teilweise zentral unter "Einstellungen" organisiert. Das finde ich etwas verwirrend.
Kalender- und E-Mail-App sind brauchbar, wenn auch teilweise zu sehr auf "gutes Aussehen" als auf "Funktionalität" getrimmt (vor allem die Email-App). Es ist ein ziemliches Gewische und Geschiebe, bis man mal eine E-Mail abgeschickt hat. Aber bisher läuft das alles bei mir sehr viel schneller und stabiler als Dekko 2 in UT.
Die Musikapp sieht gut aus und funktioniert sehr gut. Mir hat die UT Musikapp etwas besser gefallen (ist schneller beim Suchen), aber das ist denke ich persönlicher Geschmack und beide Apps sind sehr gut und besser als vieles, das ich unter Android schon für Musik benutzt habe.
Nun leider zum größten Schwachpunkt von SFOS: der Browser. Der Jollabrowser hat marginale Funktionen im Vgl. zum UT Browser. Es gibt standardmäßig nur Google, Bing oder Yahoo als Suchmaschine (!). Zum Glück kann man über zusätzliche Apps weitere Suchmaschinen (Startpage, Duckduckgo) und einen Werbefilter nachrüsten. Der Browser wird dadurch deutlich besser, aber immer noch vermisse ich einen privaten Modus bzw. Verlauf (gibt es keinen Verlauf und damit ständig einen privaten Modus oder einen versteckten Verlauf und somit keinen privaten Modus? So ganz bin ich nicht durchgestiegen). Der Browser ist deutlich langsamer und ruckliger als der UT Browser. Videos werden oft fehlerhaft abgespielt (Ton läuft, Video hängt), auf "komplizierten" Seiten wie z.B. heise.de dauert der Seitenaufbau gefühlt ewig, öfter ist mir der Browser auch abgestürzt bzw. eingefroren. Alternative Browser gibt es in den Stores, leider wieder viele Leichen. Ich habe einen aktualisierten Fork von 'Webcat' installiert, aber leider ist dieser Browser noch schlechter als das Original.
Mein Fazit:' SFOS ist ein super System und scheint reifer (schneller und stabiler) als UT zu sein. Die Wischbedienung ist brauchbar, streitbar ist, ob nicht manchmal zu umständlich. Mir persönlich haben die UT Gesten etwas besser gefallen. Das App Angebot ist manchmal besser, manchmal schlechter als in UT. Ich finde es unübersichtlicher als bei UT, weil ich in zwei Quellen suchen muss. Dass ist allerdings bei einem AOSP basierten Smartphone auch so (F-Droid und Yalp/Playstore) Von der Sicherheit finde ich es schlecht, dass ich einerseits auf sehr viele ungeprüfte Apps wegen des mauen Angebots zurückgreifen muss und andererseits SFOS keinerlei Rechtemanagement/Confinement anbietet. Der Browser als Kernelement eines Smartphones enttäuscht leider. Das ist schade, vor allem weil Telefon, Kamera, E-Mail und CardDAV/CalDAV als andere "Kernelemente" eines Smartphones mindestens gleich gut oder sogar besser funktionieren als unter UT.
Ich werde mir SFOS noch etwas anschauen, allerdings weiß ich nicht, ob ich dabei bleibe, weil ich ohne AlienDalvik nicht auf einen Android Browser oder Android Signal ausweichen kann. Die Android Emulation ist also Fluch und Segen (wie schon öfter in der UT Community diskutiert): es ermöglicht viele neue Apps, aber dafür gibt es auch viele "Leichen" unter den nativen SFOS Apps. In Sachen OpenSource ist mir UT sympathischer, da SFOS ja teilweise closed source ist (GUI, ...). Bei SFOS mit AlienDalvik wüsste ich außerdem auch nicht mehr genau, wo der Vorteil gegenüber einer ROM basierend auf dem Android Open Source Project (AOSP) ohne Goolge ist: bei beiden Systemen nutze ich Androidapps (die mehr oder weniger Daten senden), allerdings spare ich mir bei Android die Emulationsschicht. Bei beiden Systemen habe ich nur teilweise eine OpenSource System und proprietäre Anteile. Ich denke, ich werde wieder zu Fairphone Open (AOSP basiertes OS) wechseln, wenn mich SFOS mit dem Browser und fehlender Signal-App zu arg nervt. UT reift hoffentlich noch weiter, irgendwann kommt hoffentlich neue Hardware, idealerweise mit offenen Treibern, wo das Gewürge mit de Android-Zwischenschicht aufgegeben werden kann (Purism Phone). Vielleicht läuft eines fernen Tages auch auf dem FP2 UT irgendwann stabil, wobei ich hier nach einem halben Jahr Nutzung eher kein gutes Gefühl habe. Die erlebte Instabilität war einfach zu groß und so ein Speicherleck Fehler scheint sehr schwer zu finden zu sein. Darüberhinaus kämpft ja sogar Fairphone selbst mit der Hardware, wie man an den Bugs mit dem Abstandsensor oder Abschaltknopf bzw. (bei mir sehr seltenen) Reboots des FP2 mit der offiziellen Android ROM sehen kann . Der pragmatischste und funktionellste Ansatz im Moment, für ein datensparsames Smarphone, ist sicher eine AOSP basierte ROM zusammen mit dem riesigen App Angebot aus F-Droid und zur Not dem Playstore (Yalp). Dann habe ich im Moment das selbe Angebot wie bei SFOS mit AlienDalvik: ein teilweise open source, teilweise closed source System, das von einer Firma (Google bzw. Jolla) kontrolliert wird und unter einem OS, das nicht ständig zu Google oder Apple telefoniert, den Gebrauch von dem riesigen Pool an Android Apps erlaubt. Mehr Spaß hat mir ehrlicherweise UT gemacht. Da ist alles Open Source, es ist mittlerweile ein Community Projekt mit einer super engagierten Community. Ich habe gern auf Komfort an der ein oder anderen Stelle verzichtet, allerdings ist eine sehr gute Systemstabilität schon eine Grundvoraussetzung, wenn man ein Gerät als daily driver benutzen will.
Soviel dazu, ich hoffe, ich konnte einige Einblicke in meine bisherigen Erfahrungen mit Android, UT und SFOS geben.
Beste Grüße, romensch2
Edit: Nachdem ich den Laptop an die Steckdose gehängt hab, konnte ich nochmal mit weniger Zeitdruck über den Text gucken und hab ein paar Tippfehler korrigiert. 😉